Jeder Maler beginnt seine Arbeiten anders. Die meisten entwerfen zunächst ein konkretes Bild im Kopf, auf dem Computer oder schemenhaft als Skizze, bis sie es auf die Leinwand bringen. Kuno Ebert, der schon über 40 Jahre malt, geht den umgekehrten Weg.
Am Anfang des Schaffensprozesses steht die Abstraktion, von der er sich der Realität zu nähern versucht. So entstehen Bilder, die abstrakte, figurative und surreale Elemente vermengen, sich vielleicht aber auch deswegen nicht leicht greifen lassen – obwohl sie sich oftmals auf die gesellschaftlichen Verhältnisse beziehen.
Ein gutes Beispiel ist das Bild mit dem ungewöhnlichen Titel «Demonstration gegen die Diktatur des Zufalls». Im Hintergrund erkennt man in mehreren Grüntönen gemalte Blattstrukturen, während sich im Vordergrund Figuren zeigen, die in den Händen Schilder halten. Das Bild ist figurativ, aber nicht realistisch. Es changiert irgendwo im Zwischenraum, als Spiel mit Licht und Farbschattierungen, mit Strukturen und Übergängen.
Thematisiert wird hier die Trennung zwischen Natur und Kultur, wie sie die Verfechter der Corona-Maßnahmen betrieben. «Einem ganzen Volk die Impfung aufzwingen zu wollen, unterbricht den natürlichen Prozess», erklärt Ebert. «Und zu dem gehören Seuchen genauso wie der Umstand, dass Menschen nun mal krank werden.» Rückblickend sieht er in der Corona-Politik einen «kleinkarierten Umgang mit dem Tod».
small>Kuno Ebert: «Demonstration gegen die Diktatur des Zufalls»
Selbstergründung im Schaffensprozess
Da Eberts Bilder erst im Schaffensprozess entstehen, legt der Künstler seine Bedeutung erst nach deren Fertigstellung hinein, in einem Akt der Interpretation, die immer mit Selbstdeutung einhergeht. Der 59-Jährige wendet seinen Blick zwar nach außen, viel häufiger aber nach innen, um die eigene Persönlichkeitsstruktur auszuloten. Daher rühren auch die surrealen Elemente in seinen Werken. Durch sie versuche er, mit dem Unbewussten in Kommunikation zu treten, erklärt der Künstler. «Das gibt mir Orientierung. Ansonsten würde ich mit dem Leben nicht zurechtkommen.»
Diese Unsicherheit hat transgenerative Gründe. Sie wurde quasi von Generation zu Generation weitergegeben. Eberts Großvater war im Dritten Reich ein Regimegegner, ein konservativer Anwalt, der von Repressalien betroffen war und sich am Ende sogar wegen eines Schießbefehls verstecken musste.
Dessen Sohn und Eberts Vater wurde mit 17 an die Front geschickt. Das wirkte sich insofern verheerend aus, als er nach dem Krieg emotional blockiert war und zu seinem Sohn keine enge Beziehung aufbauen konnte, weil er keinen an sich heranließ. Dieser Charakterzug hat sich auf Ebert übertragen. «Auch ich war lange Zeit blockiert und blockierte selbst jegliche Verbindungen», erklärt er.
Missbehagen am Seriellen
Diese Prägung versucht er in seinen Bildern zu verarbeiten. Deswegen findet sich in ihnen immer noch ein Hauch jener Abwehrhaltung, die sich insbesondere gegen die «gesellschaftliche Gleichschaltung» richtet. Ebert sträubt sich gegen alles Serielle, ob es sich nun in Denkmustern, im Kleidungsstil, in Narrativen oder Verhaltensformen ausdrückt.
In seinen Werken gehe es insofern auch um die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft, sagt er. Davon zeugen seine Keramikarbeiten, insbesondere die Wandobjekte. Ebert spielt darin mit starren Wiederholungsformen und fragt danach, welchen Platz das Individuum in den gesellschaftlichen Strukturen hat.
Diese Auseinandersetzung kommt unter anderem in der Arbeit «Mensch oder System» zur Geltung, ein «Tik-Tak-Toe»-Spiel mit seriellen Kreuzchen und Kreisen. Wer gewinnt, fragt Ebert in diesem Wandobjekt – der Mensch oder das System?
Wie bei seinen Gemälden müssen die Betrachter auch hier abstrahieren und eine eigene Deutung vornehmen. Ebert bezeichnet alle Ansätze als gleichwertig. «Jeder kann meine Arbeiten auf seine Weise interpretieren», sagt er. «Weil die Bedeutung nicht von vornherein feststeht.»
small>Kuno Ebert: «Mensch oder System»
Wunden als Hauptthema
Seine Bilder und Wandobjekte sind offene Kunstwerke. Wenn man sich mit ihm zum Beispiel über das Bild «Alle meine spindeldürren Freunde sagen ‹Nein›» unterhält, hört er sich eher wie ein Interpret an als dessen Urheber. Zu sehen sind mehrere Köpfe, die nebeneinander auf Stangen stehen. «Deswegen sind sie spindeldürr», erklärt er den Titel, der ebenfalls im Deutungsprozess entstanden ist. Eine der Figuren trägt eine Krone, eine andere eine Basecap (siehe Titelbild).
Hier wird wieder die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft sichtbar. Die Figuren unterscheiden sich äußerlich, sind aber gleichzeitig miteinander verbunden. Als Einzelne können sie nicht funktionieren, streben aber nach Individualität. In welchem Verhältnis sie zueinanderstehen, ist nicht ganz eindeutig. Die Atmosphäre gleicht einem Gesellschaftsdschungel, in dem sich die Betrachter genauso zurechtfinden müssen wie die gemalten Figuren selbst.
Seine Werke stellt Ebert auf Ausstellungen im In- und Ausland aus, besonders häufig in der Kunsthalle Hilsbach und im Berliner HilbertRaum. Er war aber auch schon auf einer Ausstellung der Internationalen Agentur für Freiheit (IAFF) vertreten. Im Herbst ist eine weitere in Mexiko geplant. Derzeit tourt er mit der Wanderausstellung «Wunden», an der mehrere gesellschaftskritische Künstler teilnehmen.
Wollte man Eberts Hauptthema auf einen Nenner bringen, wäre es dieses: Wunden! Wunden, die die Gesellschaft den Individuen zufügt; Wunden, die er selbst in der Auseinandersetzung mit ihr davongetragen hat; Wunden, die transgenerativ tradiert wurden und die er künstlerisch zu verarzten versucht.